Menschen

»1991 mein Studium in Jena zu beginnen, aber auch die nationalistische und rassistische Mobilisierung in Hoyerswerda und Lichtenhagen zu erleben.«

Anonym aus Jena, geboren 1970 in der BRD, war am 9 November 1989 vor dem Fernseher

Jena hat eine Stadtgesellschaft, die sich das Zukunftszentrum aneignen und zu einem lebendigen Ort gestalten wird. Denn dafür stehen die Stadt und ihre Menschen: für eine starke und engagierte Zivilgesellschaft, für Bürger:innenbeteiligung und für gelebte Transformation – in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Wir erforschen Umbrüche nicht nur, wir begegnen ihnen aktiv und gestalten sie demokratisch miteinander.

Historische Aufnahme des Bürgerforums in Jena von 1989
©Stadt Jena

In Jena wird vor Ort bereits gelebt, was das Zukunftszentrum aufzeigen soll: Transformation braucht demokratischen Dialog und muss im Austausch gestaltet werden, um erfolgreich zu sein. Das ist in Jenas Geschichte und Gegenwart erlebbar. Im 16. Jahrhundert hat sich die Stadt erstmals mit der Gründung der Universität umfassend transformiert. Um 1800 avanciert Jena bereits zum geistigen Zentrum Europas mit den Romantikern, mit Fichte, Hegel, Schiller und Goethe. Im 19. Jahrhundert hat das Dreigestirn Ernst Abbe, Carl Zeiss und Otto Schott nicht nur die Industriegeschichte der Stadt geschrieben, sondern mit zahlreichen sozialreformerischen Errungenschaften Grundsteine für die enge Verknüpfung von Stadt, Wissenschaft, Wirtschaft und einer starken Zivilgesellschaft gelegt.

Schließlich zeigen die Jenaer Transformationserfahrungen nach 1989/90, wie erfolgreicher wirtschaftlicher Wandel, die aktive Aufarbeitung der gesellschaftlichen Folgen des Umbruchs – zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Bewegungen – und echte demokratische Mitwirkung an der Entwicklung der Stadt gelingen können.

©Stadt Jena, Foto: Kristian Philler

Starke Zivilgesellschaft

In Anbetracht aktueller und künftiger Herausforderungen wie beispielsweise der Schwächung der Demokratie unter anderem in Ostdeutschland und Mittel- und Osteuropa, dem Klimawandel, der zum Teil damit einhergehenden oder durch Krieg verursachten Fluchtbewegungen oder der digitalen Transformation ist eine starke und weltoffene Zivilgesellschaft, die aktiv Zukunft gestalten möchte, essentiell.

Jena hat vielfältige Vereine, Initiativen und Gruppen, die sich auf ganz unterschiedlichen thematischen Feldern mit aktuellen und kommenden Veränderungen auseinandersetzen: Dazu zählen unter anderem Klimagruppen, Lebensmittelretter:innen, Urban Gardening Aktivist:innen und Repariercafés ebenso wie Initiativen für soziales Wohnen, für Recht auf Stadt, die Refugee Law Clinic oder das Frauenzentrum Towanda, das „Aktionsnetzwerk gegen Rechts“, der Runde Tisch für Demokratie oder das Bündnis „NSU-Komplex aufklären“.

Das funktionierende Zusammenwirken der demokratischen Gemeinschaft in Jena wurde und wird deutlich bei der aktiven Aufarbeitung von Transformationsfolgen, wenn beispielsweise die Zivilgesellschaft zusammenkommt, um sich gegen Rechtsextremisten zur Wehr zu setzen und Offenheit und Vielfalt zu verteidigen. Es zeigt sich auch am Beispiel der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und dem bundesweiten Projekt „Kein Schlussstrich!“, das von der Stadt Jena, JenaKultur, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) 2021 initiiert wurde.

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Gelebte Bürger:innenbeteiligung

Jena ist stark in Bürger:innenbeteiligung. Die aktive Einbindung und Mitwirkung von Bürger:innen gilt hier als Schlüsselfaktor für die Zukunftsfähigkeit der Stadt. Seit 2007 gibt es in Jena ein Bürgerhaushaltsverfahren, bei dem die Einwohner:innen Jenas über geplante Projekte abstimmen, seit 2017 einen Beirat. In 22 Ortsteilen entscheiden Bürger:innen zudem eigenverantwortlich über die Vergabe von Fördermitteln. Das umfassende Beteiligungsverfahren für Jenas wichtigstes Städtebauvorhaben rund um den Eichplatz, an dem auch das Zukunftszentrum entstehen soll, ist ein weiteres Beispiel für gelebte Partizipation in der Stadt. Auch die Weiterentwicklung Jenas zur Smart City wird in einem breiten Beteiligungsprozess mit Bürger:innen erarbeitet.

Die Einbindung aller Bürger:innen in Jena ist ein zentraler Anspruch, den wir von Anfang an im Bewerbungsprozess für das Zukunftszentrum als unabdingbar ansehen. Das zeigt sich nicht nur in der Zusammensetzung unseres Bewerbungsteams, sondern vor allem an den vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten. So haben wir das Projekt mit einem Worldcafé eingeführt— eine stadtoffene Bürger:innenversammlung, in der die Stadtgesellschaft ebenso wie beim Stadtteilfest Jena-Zentrum im Mai 2022 über das Vorhaben informiert und zu Erwartungen, Kritik und konkreten Vorschlägen bezüglich der damit verbundenen Aufgaben befragt und zur Mitgestaltung aufgefordert wurde. Weitere Treffen finden fortlaufend in der Bewerbungsphase statt. Für die Umsetzungsphase (2023-2028) wird aktuell ein allumfassendes Beteiligungskonzept erstellt, das die Facetten der Bürgerbeteiligung nochmal auf ein neues Niveau hebt.

Über die bereits jetzt bestehenden kommunalen Arbeitsgemeinschaften, in denen Jena eng mit den Gemeinden im Umland zusammenarbeitet, sollen auch die Transformationserfahrungen von Menschen in kleineren Städten und im ländlichen Raum Ostdeutschlands einfließen und ihre Ideen bei der Gestaltung des Zukunftszentrums aktiv eingebunden werden.

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@Stadt Jena, Foto: Steffen Walther

Erfolgreiche Wirtschaftstransformation

Jena steht wie kaum eine andere Stadt in Ostdeutschland für die sozio-ökonomische Transformation von der zentralistischen Planwirtschaft zur modernen Marktwirtschaft. Dieser Prozess zeitigte für den Einzelnen durchaus auch schmerzhafte Erfahrungen: Massenentlassungen brachten viele Menschen in die Endlosschleifen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Umschulungen und wieder Arbeitslosigkeit. Für viele endete ihr Arbeitsleben vorzeitig mit der Frührente. Und viele junge Menschen gingen in den 1990ern weg.

Sukzessive entstand aber auch Neues. Anstelle der DDR-Großbetriebe bildete sich seit 1989 in Jena und Umgebung eine vielfältige Mischung aus erfolgreichen klein- und mittelständischen Betrieben im forschungsnahen Hochtechnologiesektor.

Jena wurde zur Gründerstadt mit einer ersten Gründungswelle schon in den 1990er Jahren, damals oft von ehemaligen Beschäftigten bei Zeiss, Schott und der Universität getragen. Seit der Jahrtausendwende sind vor allem die Universität Jena und Fachhochschule Jena sowie wissenschaftliche Institute wie das Fraunhofer-Institut, das Leibniz-Institut sowie das Max-Planck-Institut die kreativen Treiber für Unternehmensgründungen. Das enge Miteinander von Wissenschaft und Wirtschaft verschafft dem Standort auch im internationalen Kontext Wettbewerbsvorteile und bietet vor allem dem leistungsstarken Nachwuchs attraktive Arbeits- und Karrieremöglichkeiten.

Rückschläge gehörten bei den Transformationserfahrungen der New Economy dazu: Firmen wie Intershop können Erzählungen von Aufstieg und Fall erzählen und diese in eine erfolgreiche Geschichte der heute starken IT- und Digitalisierungsbranche in Jena ummünzen.

Dabei behilflich war und ist die spezielle Jenaer DNA, eine Mentalität, die gekennzeichnet ist von einem ausdauerndem, auf aller Erfahrung beruhendem Arbeiten, einem Dranbleiben an einem Problem und einem Nicht-Aufgeben-Wollen. „Pröbeln“ nannten die Zeissianer im 19. Jahrhundert den langwierigen Vorgang des Linsenschleifens, in dem Linsen und optische Baukörper auch solange gegeneinander verschoben und justiert werden mussten, bis bei einem neuen Mikroskop ein halbwegs sauberes optisches Bild entstand. „Pröbeln“ steht so sinnbildlich für die Jenaer Tugend, es immer wieder neu zu versuchen, sich einer Lösung zu nähern, erst zufrieden sein, wenn es funktioniert, und darin Leidenschaft zu entwickeln.

Jena spürt heute zugleich alle Kehrseiten urbaner Entwicklungen: Flächenverbrauch, Klimaanpassungsschwierigkeiten, knapper Wohnraum, soziale Verdrängung und gesellschaftliche Spaltung – aktuelle Fragen, die auch in einem Zukunftszentrum diskutiert werden sollten.

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