12. Etappe: Vama Veche, Rumänien

Kurz vor der bulgarischen Grenze halten wir in Vama Veche. Der kleine Ort an der Schwarzmeerküste war lange Zeit eine Enklave für Künstler und Aussteiger. In den letzten Jahren hat er sich massiv verändert.

Bereits im Kommunismus und unter dem Regime von Ceaușescu suchten Andersdenke in dem Grenzort zu Bulgarien Schutz vor der Securitate, dem rumänischen Geheimdienst. Seinen Ruf als Enklave behielt Vama Veche auch nach dem Sturz des Regimes 1989/90. Vor allem Aussteiger kamen hierher und verliehen dem alternativen Badeort seine besondere Atmosphäre. Bis zuletzt wehrten sich die Menschen erfolgreich gegen den Massentourismus. So hat eine Bürgerinitiative die Errichtung großer Hotelanlagen verhindert. Vor drei Jahren etwa unterstützten zahlreiche Rocker den Protest und blockierten mit ihren Maschinen die einzige Durchgangsstraße zur Grenze nach Bulgarien.

Heute scheint Vama Veche dennoch verloren. Der Ansturm der Touristen reißt nicht mehr ab und die damit verbundene Transformation macht offensichtlich keinen Halt. Angezogen vom Charme der Region und den Mythen über das alternative Flair, lassen sich die Massen auf privaten Strandabschnitten nun ihre Getränke an den Liegestuhl bringen. Aus Lautsprechern dröhnt laute Technomusik, während Promoter Lifestyle-Produkte verteilen. Alles wirkt wie ein kommerzielles Festival am Strand.

Die Befürchtung, dass dieser Ort – der sich bereits jetzt massiv verändert hat – in wenigen Jahren kaum noch wiederzuerkennen sein wird, teilt auch ein junges Paar, das wir beim Mittag treffen. Beide wohnen in Deutschland. Er war in seiner Jugend mit seiner Familie aus Moldau oft hier und erzählt von der besonderen Atmosphäre, die in den letzten Jahren immer mehr verloren geht. Die Menschen, die diesen Kulturraum eigentlich geprägt haben, werden zunehmend an dessen Ränder gedrängt. Die letzte Bastion bildet das Restaurant auf einem kleinen Hügel im Norden, wo es den frischen Fisch direkt vom Ofen am Strand gibt und eine als Pirat verkleidete Puppe im Ausguck mit einem Gewehr symbolisch auf den Massentourismus zielt.

Text: Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi

11. Etappe: Donaudelta, Rumänien

Von Deutschland aus fließt die Donau einmal quer durch Mittel- und Osteuropa und mündet im Drei-Ländereck Rumänien-Ukraine-Moldau ins Schwarze Meer. Das Gebiet ist das zweitgrößte Delta Europas mit einem einzigartigen Netzwerk aus über 30 Ökosystemen. Hier kann man das größte Schilfgebiet der Welt und zahlreiche Vogelarten entdecken – darunter den Rosa-Pelikan. Der schwerste flugfähige Vogel ist nirgendwo sonst in Europa heimisch.

Ein Naturparadies, das sich bereits kurz vor seiner Zerstörung befand – und auch heute noch akut bedroht ist. So wurden ab den 1960er Jahren im kommunistischen Rumänien weite Teile des Deltas trockengelegt. Unter anderem weil Elena Ceaușescu, die Frau des ehemaligen Diktators, hier Reis anbauen wollte – was aber nicht funktionierte. Die künstlich veränderte Landschaft und mit ihr die Tiere und Pflanzen starben dennoch.

Erst der Sturz des Regimes in Rumänien und der Zerfall des Staatssozialismus in Mittel- und Osteuropa retteten das Naturparadies vor der weitgehenden Zerstörung. Heute ist das Donaudelta das größte grenzüberschreitende Schutzgebiet in Europa, an dem Rumänien, Bulgarien, die Republik Moldau und die Ukraine beteiligt sind. In der ehemaligen Ferienvilla von Nicolae Ceaușescus arbeiten heute Wissenschaftler:innen aus ganz Europa, die hier zur Erhaltung des Naturparadieses forschen.

Die Arbeitslosenquote liegt in der Region zwischen 30 und 40 Prozent. Verbunden mit dem Problem der Wilderei, die das ökologische Gleichgewicht akut gefährdet – wie der Elektrofischerei und den illegalen Export von Wildpferden –, wird die Notwendigkeit eines sozial-ökologischen Wandels deutlich. Nur wenn soziale Missstände behoben werden, kann auch das ökologische Gleichgewicht sichergestellt werden.

Eine weitere Bedrohung für das Delta stellt der Tourismus dar. Immer mehr Anbieter fahren mit Speedbooten über die empfindlichen Wasserwege und bringen Menschen auch zu kleinen Siedlungen, in denen immer neue Pensionen und Bars gebaut werden. In einer davon – Milan 23, einem Dorf mit rund 200 Einwohnern der russischen Minderheit – reden wir mit Ionel. In den 1980er Jahren war er Kapitän auf einem großen Handelsschiff mit mehr als 100 Mann Besatzung. Nach dem Zerfall des Systems wurde er arbeitslos. Ende der 1990er gründete Ionel sein eigenes Familienunternehmen, mit dem er Touristen ins Delta bringt und ihnen Flora wie Fauna näher bringt. Das Geschäft läuft gut. Heute ist er ein erfolgreicher Unternehmer und Gewinner der Transformation. Dem Ökosystem im Donaudelta hingegen wird der wachsende Erfolg seiner Branche immer mehr Schaden zufügen.

Text & Fotos: Christian Faludi

10. Etappe: Kloster Saon, Rumänien

Von Comrat führt unser Weg weiter durch das ehemalige Bessarabien in Richtung Süden bis zum Grenzübergang bei Galați, wo wir mit der Fähre über die Donau setzen. Unweit des Ortes mündet der Strom nach seinem Lauf durch weite Teile Ost-/Mitteleuropas in einem gigantischen Delta ins Schwarze Meer. Das ist unser nächstes Ziel. 

Auf dem Weg dorthin machen wir einen Stopp am Kloster Saon, um herauszufinden, ob es noch möglich ist, sich bei den Nonnen zum Mittagessen einzuladen. An der Kirche treffe ich Schwester Julia, die erklärt, dass es so etwas früher einmal gab. Wenn ich aber möchte, kann ich gern am nächsten Tag wiederkommen. Pünktlich um 12 Uhr treffen wir uns wieder am Tor, und Julia nimmt mich mit in die Küche, wo mir die dort arbeitenden Nonnen und der Priester vorgestellt werden. Vor dem Essen habe ich die Gelegenheit, im Garten mit Schwester Justina zu sprechen. Hier entwickelt sich ein Gespräch „über Gott und die Welt“, das auch sehr persönlich wird. Justina erzählt von ihrer persönlichen Transformation – ihrer „neuen Geburt“ –, bei der sie exakt vor 23 Jahren und einem Tag im Alter von nur 17 Jahren ins Kloster gegangen ist, ihren Anfängen wie auch Schwierigkeiten im Leben als Nonne und ihren Weg zum „inneren Frieden“. Daneben berichtet sie auch viel über die Geschichte und die jüngere Transformation des Ortes, der bei ihrer Ankunft 1999 noch nahezu eine Ruine ohne Strom war. Wasser musste sie damals aus dem Fluss holen. Die Menschen aus den umliegenden Orten kamen seinerzeit noch mit Pferden auf unbefestigten Wegen zum Besuch beim Priester. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten haben die Nonnen hieraus ein strahlendes Idyll mit zwei wunderschönen Kirchen, Landwirtschaft wie Weinanbau und Tierzucht geschaffen. Die Versorgung funktioniert fast autonom. Für den restlichen Bedarf verkaufen sie selbst gemachten Honig, Wein oder christlichen Schmuck an Besucher, die nun über eine asphaltierte Straße hierhin kommen. Der Erlös reicht, und er gibt sogar die Möglichkeit, mehr zu tun. So nahmen die Nonnen vor drei Monaten Geflüchtete aus der Ukraine bei sich auf. Auf die Frage, was sich Justina für die Zukunft wünscht, erklärt sie, dass sie darüber nicht nachdenkt. Und weiter: Die Gemeinschaft im Kloster lebt im Hier und Jetzt. Die Zukunft liegt in „Gottes Hand“, und das Vertrauen in ihn gibt Justina den inneren Frieden, der es möglich macht, mit allen anderen Menschen in Harmonie zu leben. Als Botschaft solle ich mitnehmen, dass jeder diesen Frieden finden kann – nicht nur im Kloster.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen verabschieden mich die Nonnen herzlich und ich fahre dankbar für die schöne Erfahrung in dieser abgeschiedenen Welt und die tiefen Einblicke in das Leben dort nach Tulcea, wo schon das Boot für die Fahrt ins Delta wartet.

Text & Foto: Christian Faludi

9. Etappe: Comrat, Gagausien (Republik Moldau)

Heute geht es weiter Richtung Comrat, die Hauptstadt der autonomen Republik Gagausien. Die letzten 40 Kilometer fahren wir über die „Strada Lenin“Einige Abschnitte sind voller Schlaglöcher, andere sind völlig neu. Finanziert wird die Instandsetzung der Straße, die quer durch die ehemalige Sowjetrepublik führt, durch Fördergelder der Europäischen Union – wie uns immer wieder Schilder verraten.

Im Gegensatz zu Transnistrien wird die autonome Region Gagausien von der Republik Moldau anerkannt. Hier leben vorwiegend die ethnische Minderheit der Gagausen, aber auch Russen, Moldauer, Bulgaren und Ukrainer. Neben Rumänisch wird hier vor allem die Turksprache Gagausisch gesprochen, ein dem Türkischen verwandter Dialekt. Umgangs- und Amtssprache ist aber auch Russisch.

Die Abspaltung Moldaus von der Sowjetunion und die Annäherung an Rumänien löste in Gagausien eine pro-russische Gegenbewegung aus. Nachdem die Republik Moldau 1994 den Autonomiestatus der Region anerkannt hatte, ist mit Ausbruch des Ukraine-Konflikts 2014 und die Annäherung der Republik Moldau an Rumänien, der Konflikt neu entfacht. Bei einem (nichtoffziellem) Referendum am 2. Februar 2014 stimmten 98,4% der Menschen in Gagausien für engere Beziehungen mit Russland und 97,2% gegen eine Annäherung an die EU. Neben Russland unterhält die Türkei enge Beziehungen mit der Region, was den Konflikt nicht deeskaliert.

Wie präsent die sowjetische Vergangenheit und die Nähe zu Russland hier ist, erfahren wir bei einem Besuch im Regionalmuseum. Neben Abbildungen und Objekten zur Geschichte der Region und dem Alltag der Menschen, entdecken wir vor allem Relikte aus der Sowjetzeit, Miniaturpanzer, Fotos von hochrangigem Besuch aus Russland (unter anderem Putin), Orden und vieles mehr. Vor der Verwaltungsbehörde Gagausiens steht eine nach wie vor gepflegte Lenin-Statue, an einer Straßenlaterne hängt ein verrosteter Sowjetstern. Bevor wir weiterfahren Richtung Donaudelta kaufen wir bei einer alten Dame auf Russisch Piroschki und am Straßenrand einen Becher Kvas.

Text: Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi

8. Etappe: Chişinău, Republik Moldau

Die Republik Moldau – ein Land zwischen sowjetischer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft in der Europäischen Union, das mit dem Transnistrien-Konflikt international politische Aufmerksamkeit erlangte und dem im Ukraine-Konflikt eine besondere Bedeutung zukommt.

Mit der Einreise in die Republik Moldau verlassen wir erneut die Europäische Union. Als die Ukraine in Folge des russischen Angriffskriegs die Mitgliedschaft in der EU beantragt hat, folgte kurz danach auch die Republik Moldau. Seit dem 23. Juni 2022 hat das Land offiziell den Kandidatenstatus verliehen bekommen. Aktuell leben in dem ärmsten Land Europas 2,6 Millionen Moldauer, wobei über eine halbe Million Ukrainer:innen auf der Flucht vor dem Krieg in den letzten Monaten die Grenze nach Moldau überschritten haben. Viele sind hiergeblieben. 

Die Region in Osteuropa hat eine bewegte Geschichte hinter sich, bei der sie immer wieder zum Spielball der Interessen verschiedener Großmächte wurde. Von 1940 bis 1991 gehörte sie zur Sowjetunion, 1991 erklärte Moldau offiziell seine Unabhängigkeit. Die Angst, dass Russland Anspruch auf die Region erhebt, wurde mit dem Überfall auf die Ukraine präsenter denn je. Die im Land schwelenden Konflikte zwischen pro-russischen und pro-europäischen Kräften wurden dabei neu entfacht.

Wir reisen übers Land durch kleine Dörfer und durch die Hitze stark in Mitleidenschaft gezogene Agrarwüsten von Iaşi in Richtung Chişinău. Die schier endlosen Sonnenblumenfelder sind verdorrt. Die Dörfer scheinen – abgesehen von den Melonen-Händlern am Straßenrand – fast menschenleer. Ganz anders ist es in Chişinău, wo mit fast 700.000 Einwohnern das Leben pulsiert. Die Stadt selbst wirkt aber immer wieder ein wenig wie aus der Zeit gefallen – was vor allem an den omnipräsenten Wohnblöcken liegt.

Text: Tobias Schwessinger & Christian Faludi

Fotos: Christian Faludi

7. Etappe: Denkmal Chișinău, Republik Moldau

Wie präsent die sowjetische Vergangenheit in der Republik Moldau auch heute noch ist, beweist das „Complexul Memorial Eternitate“ in Chișinău, eine von der Sowjetunion 1975 errichtete monumentale Denkmalanlage. Sie ist den sowjetischen Soldaten gewidmet, die im zweiten Weltkrieg gegen die deutsch-rumänischen Truppen gekämpft haben.

Auf mich wirkt das Denkmal irgendwie wie ein gigantischer Fremdkörper in der Stadt. Im umliegenden Park spielen Kinder Fußball und gehen Familien spazieren. Zwischen den Säulen des Denkmals, die fünf Gewehre symbolisieren, brennt ein Ewiges Feuer, oben ist ein großer Sowjetstern zu sehen. Auf den Stelen sind militärische Szenen von 1941 bis zur Befreiung vom Faschismus 1945 zu sehen.

Ebenfalls auf dem Gelände entdecken wir ein Denkmal zur Erinnerung an den Transnistrien-Krieg, in dessen Folge sich 1992 die Separatistenregion mit Unterstützung von russischen Truppen von der Republik Moldau abspaltete. Noch heute sind dort, zwischen der Republik Moldau und der Ukraine, rund 1500 russische Soldaten stationiert. Mehr als die Hälfte der Menschen in Transnistrien identifizieren sich als Russen, die anderen als Rumänen und Ukrainer. Die Angst, dass sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf die Republik Moldau ausweitet, ist hier sehr präsent.

Wir verlassen Chișinău wieder und reisen weiter Richtung Gagausien, eine autonome Region im Süden der Republik Moldau.

Text: Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi

6. Etappe: Czernowitz, Ukraine

Wir sind in Czernowitz angekommen – ein sicherer Hafen in der Ukraine, in dem aktuell vermutlich um die 100.000 Binnenflüchtlinge gestrandet sind. Die genaue Zahl kennt niemand. Hier treffen wir an der Universität Oxana Matiychuk.

Oxana ist die Leiterin der Ukrainisch-Deutschen Kulturgesellschaft Czernowitz, das zum Zentrum Gedankendach an der Jurij-Fedkowytsch-Universität gehört. Als Mitarbeiterin ist sie im Internationalen Büro für den Austausch mit deutschsprachigen Hochschulen zuständig. Zu Jena hat sie dabei sehr enge Verbindungen, zuletzt über ein gemeinsames europäisches Theater-Projekt, an dem auch die Freie Bühne Jena beteiligt war. Später erzählt sie uns, dass sie gemeinsam in Czernowitz an einem Theaterstück zum Ersten Weltkrieg gearbeitet haben, das auch auf dem Friedensberg in Jena aufgeführt wurde. Viele Menschen aus Deutschland und ganz Europa haben sie in Czernowitz besucht und mit ihr zusammengearbeitet. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine kommt fast niemand mehr.

Wir warten auf Oxana vor den Toren der Universität an denen ein großes Transparent angebracht ist. Als wir sie fragen, was dies bedeutet, sagt sie: „Bunker“. Die Universität besitzt zwei große Luftschutzkeller, in denen die Menschen bei Alarm Schutz suchen können. Bevor wir in ihr Büro gehen, führt sie uns durch die Kellerräume. Lachend zeigt sie auf eine große Zimmerpflanze und mehrere Teppiche. Der Hausmeister versucht, die Bunker etwas wohnlicher zu gestalten. Oxana erklärt, wenn der Alarm während unseres Gesprächs ertönt, sollen wir direkt hier runter gehen. Sie würde dann nachkommen, müsse sich jedoch erst darum kümmern, dass alle anderen ebenfalls den Weg in den Schutzraum finden. Aktuell wären viele Abiturienten in der Universität, die sich für das nächste Semester einschreiben.

Zurück in ihrem Büro erzählen wir kurz von unserer Reise und fragen dann Oxana und Oleg, einen ihrer Mitarbeiter – er hat in Weimar studiert und kennt Jena gut – nach ihrer aktuellen Situation. Wie angesichts des Krieges das Leben an der Universität und ihr Alltag aussieht. Während wir ihnen zuhören, passiert es dann doch: Mitten im Satz ertönt der Alarm. Oxana geht sofort ans Telefon und benachrichtigt alle in der Universität. Wir gehen in den Bunker.

Nach einigen Minuten kommt auch Oxana und wir führen unser Gespräch weiter. Zwischen uns die Zimmerpflanze, die der Hausmeister aufgestellt hat. Im Raum nebenan vertreiben sich Studenten beim Tischtennis die Zeit. Oxana erzählt von der Solidarität der Menschen in der Ukraine, die sich gegenseitig und vor allem die Soldat:innen an der Front – die hier meist „bei Null“ genannt wird – mit allem unterstützen, was in ihrer Macht steht. Später zeigt sie uns Pakete mit „Notkompressen“ und Wasserfiltern im Büro ihres Kollegen. „Abschiedsgeschenke“ für Kolleg:innen und Freund:innen, die eingezogen werden.

Über das Zukunftszentrum sprechen wir nur noch am Rande. Dennoch betont Oxana, wie wichtig gerade jetzt der gegenseitige Austausch ist. Wir verabreden, das Band für eine engere Kooperation zwischen den Institutionen in Czernowitz und Jena wieder enger zu knüpfen. An der Gestaltung eines Zukunftszentrums, wünscht sie sich, teilhaben zu können. Um die Menschen näher zusammenzubringen, sagt sie. Miteinander zu reden, dem anderen zuzuhören, wäre heute wichtiger denn je. Für die Zukunft wünscht Sie sich, dass die Ukraine in ihren alten Grenzen von den russischen Invasoren befreit wird und sie wieder in ihrer Heimat leben kann, ohne sich um das Leben der Menschen zu fürchten, die ihr nahestehen – und ihr eigenes.

Das ausführliche Gespräch mit Oxana Matiychuk wird später Teil unserer Reisedokumentation sein.

Text: Christian Faludi & Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi

5. Etappe: Grenze, Ukraine

Heute sind wir in den ukrainischen Teil der Bukowina nach Czernowitz gereist – in ein Land, das sich seit 2014 im Krieg befindet und im Februar dieses Jahres von russischen Truppen überfallen worden ist und denen es sich nach wie vor entschlossen entgegenstellt. Die Landschaft der Bukowina mag hier dieselbe sein, wie in Rumänien, der Alltag der Menschen könnte anders nicht sein.

An der Grenze von Rumänien in die Ukraine sind wir wahrscheinlich die einzigen Nicht-Ukrainer. Während wir auf die Kontrolle durch die Grenzbeamten warten, werden wir von Katja angesprochen. Sichtlich verwundert fragt sie, was wir vorhaben. Sie selbst ist im März vor den russischen Truppen aus ihrem Heimatdorf nahe Kiew nach London zu ihrer Tochter geflohen. Jetzt kehrt sie zum ersten Mal in Ihre Heimat zurück – zu ihrem Mann und ihrer Mutter, die dortbleiben mussten. Für die Zukunft wünscht sie sich nur eines: wieder zusammen mit ihrer Familie sein zu können, ohne Angst um ihr Leben zu haben. Vielleicht – so hofft Katja – ist alles in einem Jahr wieder „normal“.

Wir haben uns entschlossen, hierher zu reisen, weil ein Gespräch über die Geschichte und Zukunft in Mittel- und Osteuropa ohne die Ukraine zurzeit nicht richtig wäre. Nach dem Grenzübertritt fahren wir auf dem Weg nach Czernowitz viele Kilometer an wartenden LKWs vorbei, welche das Land mit den aktuell so dringend benötigten Waren versorgen. In Czernowitz sind wir mit Oxana Matiychuk verabredet. Von dem Treffen mit ihr wird der nächste Post berichten.

Text: Christian Faludi & Tobias Schwessinger

Foto: Christian Faludi

4. Etappe: Bukowina, Rumänien

Auf dem Weg in die Ukraine führt unser Weg nach Suceava durch die Bukowina, eine Landschaft, in der lange Zeit eine Vielzahl von Ethnien lebten, auch Deutsche und Juden. Viele Jahrhunderte war die Region durch eine Vielfalt geprägt, die den Konflikten und Kriegen im 20. Jahrhundert beinahe vollständig zum Opfer fiel. Heute kreuzen wir auf unserem Weg durch die Karpaten lediglich kleinere Rom:nja-Siedlungen, treffen Händler mit Honig neben ihren Bienstöcken, Beeren oder Waldpilzen. 

In den Städten und Dörfern feiern die Menschen derweil bereits am zweiten Tag Mariä Himmelfahrt in hellen Trachten und prozessieren mit Ikonen durch die Straßen. Dabei stoßen wir an gleich mehreren Stationen auf bunte Volksfeste. Neben regionalen Spezialitäten erhalten wir auch Gelegenheit, traditionellen Tänzen beizuwohnen. Auf feierlich geschmückten Kutschen und Pferden fahren die Menschen durch die Dörfer. 

Unter diesen Eindrücken wird in uns die Frage laut, inwiefern gerade in Zeiten, die von unzähligen Umbrüchen geprägt sind, Traditionen eine Stütze sind, die das Gefühl von Sicherheit und Heimat geben. Sind es nicht auch solche Rituale und Bräuche, die in dem Leben der Menschen, das politisch, sozial und wirtschaftlich – auch mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse – von umgreifenden Transformationen bestimmt ist, Schutz und Geborgenheit bieten? 

Wir waren jedenfalls dankbar, an den Festen teilnehmen zu können. Die vielen Menschen und ihre fröhliche und lebensbejahende Art und Weise zu feiern, beeindruckte uns sehr. 

Text: Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi

3. Etappe: Der „Fröhliche Friedhof“ von Săpânța, Rumänien

Es ist ein Thema, das uns seit Beginn der Reise begleitet: Die Transformation des Reiseplans. Umwege sind während unseres Roadtrips mehr die Regel als die Ausnahme. Das Spannende und Schöne daran sind die Überraschungen. Auf unserer Route zum Memorial Sighet versperrt uns eine rumänische Hochzeitsgesellschaft den Weg, die durch ihr Dorf in den Karpaten mit Musik und Gesellschaft zieht. Andernorts kommt eine lange Prozession anlässlich Mariä Himmelfahrt – ein zentraler Feiertag in Rumänien – mit einer Ikone aus einer Kirche. 

An wieder anderer Stelle stoßen wir ungeplant auf ein großes Fest und werden von dem Gesang aus einer farbenprächtigen Kirche angelockt und einen auf den ersten Blick seltsam anmutenden Friedhof. Der Cimitirul Vesel, der ›Fröhliche Friedhof‹ von Săpânța, ist ein einzigartiger Ort. Auf jedem der kunstvoll gestalteten Kreuze findet sich ein ironischer Nachruf auf den Verstorbenen. Die Tradition geht auf den Künstler Stan Ioan Pătraș zurück, auf dessen eigenem Grabstein steht: »Seit dem 14. Lebensjahr musste ich Geld verdienen. Aus 62 Ländern haben sie mich bis gestern besucht, aber wer jetzt noch kommt, der wird mich nicht finden.«

Text: Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi

2. Etappe: Memorial Sighetu, Rumänien

In ganz Europa forderte der Sozialismus seine Opfer – allein in Rumänien wurden von 1947 bis zum Sturz des Diktators Nicolae Ceaușescu hunderttausende Menschen im Namen des Kommunismus inhaftiert, gefoltert und getötet. 

Besonders deutlich wird das heute noch in der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus in Sighetu in Rumänien. Hier wurden wir von Norbert Kondrát und Andrea Dobes empfangen, die uns durch das ehemalige Gefängnis führten, in dem bis in die 1960er Jahre politische Eliten inhaftiert wurden. Norbert und Andrea gaben uns dabei einen spannenden Einblick in ihre Arbeit und die Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit. 

Im Anschluss an die Führung durch das Areal blieb noch etwas Zeit für Gespräche. In Bezug auf ein mögliches Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation in Jena wurde dabei die Hoffnung laut, eine partnerschaftliche Kooperation einzugehen – nicht zuletzt auch, weil über die Universität Jena bereits seit Jahrzehnten enge Kontakte bestehen.  

Wir bedanken uns für den herzlichen Empfang, die interessante Führung und die Unterstützung für unsere Bewerbung.

Text: Tobias Schwessinger

Fotos: Christian Faludi